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Places

Daniel Weissbach's works take locations, places of reality, our reality, and detach them from their original context to both isolate and extend them into an artistic reality. These places of reality, originating from our everyday life and thus never or rarely entering our normal conscious perception, are to be found in a vast space of associations and relationships. They become part of an artistic concept that reflects on reality by making things that escape our everyday perception visible and significant.

Places are locations, excerpts from reality, where we have lived, which we have seen and consciously or unconsciously absorbed into our lives. Our body also contains places, is in some way itself a moving and changing place of reality. The human body contains places in the form of marks, reflex points, irritable and particularly sensitive zones. Suspect phenomena are often described as "places": a suspect mark on your skin is a place. Places engender disquiet, sometimes even horror, because they are an indication of defects, damage, flaw or threat. The human psyche also contains places: points, objects, locations and themes which, when touched by others, almost automatically trigger certain pleasant or unpleasant reactions in us, conjure up certain emotions that link our past to our present and remind us that we are beings emotionally conditioned by our personal history. These inner places show us that the past lives on in us and influences the present. It is the same with our bodies, which change and preserve the marks of the past.
Tiled walls have become the central symbol of the relationship between being and time in Weissbach 's work. A tiled wall is something we incessantly try to keep clean, something we polish, something that is supposed to make it easier for us to purge traces of the past from the present. We scrub the tiles in our bathrooms, and watch people in underground stations working hard day after day, with brushes and chemicals, to remove the perceived contamination of the traces and marks of the recent or distant past. And we also discover day after day in our bathrooms and stations what a vain labour of Sisyphus that is. Even if the tiles remain shiny and pristine for half a day, the joints between them are still there: evading cleaning, gathering residues, traces, marks. The past enters the present through the joints. These traces produce a change in the body from within, the soul speaks from the joints. And the past reveals traces of things that cannot be "repaired" and cancelled out, residues that assert their presence and in aggregate cause distinct change, change reality itself. However hard we try to exorcise the past in the shape of its traces at places of reality and in the body, underneath it remains active and omnipresent. A tiled wall enables a distance to be established from the sometimes brutal, at least radical intimacy of your own body. The conditions of the body and its related fears, doubts, insecurities, moments of happiness and exuberance can be alluded to indirectly. The tiled wall becomes the carrier and transmitter of these conditions.

The tiled wall, constructed in accordance with strict geometric principles, is simultaneously deconstructed in Weissbach 's work: the geometric patterns are displaced, dissolve into freer forms, seem to open up to chaos, caprice, uncertainty, without sacrificing the appearance of structure. Here, too, the interior, the soul with its desire for openness, liberty, escape, influences the exterior, the form. The inner story becomes manifest on the surface of the body, which becomes the mirror of the soul.
Weissbach 's work oscillates between painting, object and sculpture, he paints his objects. He reproduces the tiles on canvas with conventional materials like acrylic paint, lacquer and filler in such a way that the illusion only becomes evident upon closer examination. Weissbach 's tiled walls are a kind of trompe-l'oeil which in some way actually creates the reality and space of its make-believe.
Objects of art are created that reflect on time as the fundamental condition of human existence: the merging time levels, the passage of time and the marks left in the present, the relationship between presence and absence and the indelible traces of what has been, invading our present sometimes unobtrusively, sometimes violently, maintaining their presence with no effort on our part, or even against our will.

Translated from the original German by Helen Robertson

 

Stellen

Daniel Weissbachs Arbeiten nehmen Orte, Stellen der Realität, unserer Realität auf, lösen sie indessen aus ihrem Herkunftskontext, um sie in eine künstlerische Wirklichkeit sowohl zu isolieren wie zu erweitern. Diese Realitätsstellen, die unserem Alltag entstammen und daher von uns in der Regel nicht oder nur selten bewusst wahrgenommen werden, finden sich wieder in einem weiten Raum der Assoziationen und Bezüge. Sie werden Teil eines künstlerischen Konzepts, das auf die Realität reflektiert, indem es das unserer alltäglichen Wahrnehmung Entgehende sichtbar macht und bedeutsam werden lässt.

Stellen sind Orte, Ausschnitte der Wirklichkeit, an denen wir gelebt, die wir gesehen und bewusst oder unbewusst in unser Leben einbezogen haben. Aber auch unser Körper hat Stellen, ist in gewisser Hinsicht selbst eine wandernde und sich wandelnde Wirklichkeitsstelle. Der menschliche Körper hat Stellen als Male, Reflexpunkte, reizbare und besonders empfindliche Zonen. Oft sind es verdächtige Phänomene, die wir als Stelle bezeichnen: ein verdächtiges Hautmal ist eine Stelle. Der Körper hat bisweilen diffus schmerzende Stellen. Andere Körper haben „Stellen": „Der Apfel hat eine Stelle." Stellen verursachen Unbehagen, bisweilen gar Schrecken, weil sie Defekte, Schäden, einen Mangel oder eine Gefahr andeuten. Auch die menschliche Psyche hat Stellen: Punkte, Gegenstände, Orte und Themen, die, sofern sie berührt werden von anderen, sehr zuverlässig bestimmte, angenehme oder unangenehme Reaktionen in uns auslösen, bestimmte Empfindungen heraufbeschwören, was unsere Vergangenheit mit unserer Gegenwart verbindet und uns daran erinnert, dass wir durch unsere persönliche Geschichte emotional konditionierte Wesen sind. Diese inwendigen Stellen zeigen uns, dass die Vergangenheit in uns fortlebt und die Gegenwart beeinflusst. Wir leben, verändern uns und vergehen mit der Zeit, die Spuren in uns hinterlässt. Ebenso unser Körper, der sich wandelt und Signaturen der Vergangenheit bewahrt.Die Fliesenwand ist in den Arbeiten Weissbachs zum zentralen Symbol des Verhältnisses von Sein und Zeit geworden. Die Fliesenwand ist das, was wir fortwährend sauber zu halten versuchen, was wir polieren, was es uns erleichtern soll, die Gegenwart von den Spuren der Vergangenheit zu reinigen. Wir bürsten die Kacheln in unseren Bädern und sehen täglich in U-Bahnhöfen Menschen dabei zu, wie sie die als Verschmutzung wahrgenommenen Spuren und Male der jüngeren oder älteren Vergangenheit zu tilgen bemüht sind mit Bürsten und Chemikalien. Und wir erleben ebenso täglich in unseren Bädern und Bahnhöfen die sisyphosartige Vergeblichkeit dieses Unterfangens. Mögen die Kacheln für einen halben Tag blank sein und glänzen, es bleiben die Fugen, die sich der Reinigung entziehen, in denen sich Rückstände, Spuren, Signaturen ansammeln. Durch die Fugen tritt die Vergangenheit in die Gegenwart ein. Diese Spuren bewirken eine Veränderung des Körpers aus dem Inneren, aus den Fugen spricht die Seele. Und die Vergangenheit zeigt Spuren dessen, was sich nicht „reparieren" und nicht annullieren lässt, Rückstände, die sich behaupten und in ihrer Summe eine merkliche Veränderung bewirken, die Wirklichkeit selbst verändern. Wir können uns noch so sehr anstrengen, die Vergangenheit in Gestalt ihrer Spuren an Wirklichkeits- und Körperstellen zu exorzieren, sie bleibt untergründig dennoch wirksam und allgegenwärtig. Die Kachelwand ermöglicht eine Distanzierung von der bisweilen brutalen, jedenfalls radikalen Intimität des eigenen Körpers. Die Zustände des Körpers und die Ängste, Zweifel, Unsicherheiten, Glücksmomente und Hochstimmungen, die sich auf ihn beziehen, können indirekt angesprochen werden. Die Kachelwand wird zum Träger und Transmitter dieser Zustände.


Die nach strengen geometrischen Vorgaben konstruierte Kachelwand wird in den Arbeiten Weissbachs zugleich dekonstruiert: Die geometrischen Muster werden verschoben, lösen sich in freiere Formen auf, scheinen sich dem Chaos, der Willkür, dem Unbestimmten zu öffnen, ohne dabei den Anschein von Struktur einzubüßen. Auch hier wirkt das Innere, wirkt die Seele mit ihrem Wunsch nach Offenheit, Freiheit, Ausbruch auf das Äußere, die Form ein. Die innere Geschichte offenbart sich an der Oberfläche des Körpers, die zum Spiegel der Seele wird.
Weissbachs Arbeiten oszillieren zwischen Malerei, Objekt und Skulptur, er malt seine Objekte. Er bildet auf der Leinwand die Kacheln mit herkömmlichen Malmaterialien wie Acrylfarbe, Lack und Spachtel so nach, dass sich die Illusion erst bei näherer Betrachtung erschließt. Weissbachs Fliesenwände sind eine Art Trompe-l'oeil, das die Realität und Räumlichkeit, die es vorgaukelt, in gewisser Hinsicht auch tatsächlich erschafft.
Es entstehen Kunstkörper, die auf die Zeit als Grundbedingung menschlicher Existenz reflektieren: die Zeitebenen, die sich durchdringen, das Vergehen der Zeit und die Signaturen, die es in der Gegenwart hinterlässt, das Verhältnis von Präsenz und Absenz und die unauslöschlichen Spuren des Gewesenen, die in unsere Gegenwart mal unmerklich, mal geradezu gewaltsam dringen, sich ohne unser Zutun oder sogar gegen unseren Willen gegenwärtig halten.

"Ich bin verändert für und für 
und standhaft nur in stetem Wandel."

(Paul Fleming)